Eine so ganz andere Fastenzeit
- 20.03.2020 -
Herr,
alles zerbricht
meine Pläne
meine Hoffnung
meine Wünsche
nichts ist mehr
wie es vor Tagen war
nichts läuft mehr
wie es noch gestern lief

wenn Du der Weg bist
zeige Dich
wenn Du die Wahrheit bist
versteck Dich nicht
wenn Du das Leben bist
lauf mir nicht davon

Rudi Weiß  (in: Gottelob, Katholisches Gebet- und Gesangbuch, 2013, Nr. 17,1)

Und plötzlich werden uns diese Tage und Wochen wirklich zur Zeit der Buße und Einschränkung, mehr als wir es uns jemals vorstellen konnten. Von gestern auf heute sind unsere Pläne Windhauch, Flugzeuge stehen still, Autos fahren kaum noch, die meisten von uns müssen zuhause bleiben - ob wir wollen oder nicht. Eine strenge Fastenzeit ist angebrochen für so manche, die jetzt haushalten müssen mit dem wenigem Geld, das ihnen zur Verfügung steht - wir denken dabei an viele Familien hier im Nahen Osten.

Corona (lateinisch für "Krone") - damit verbanden wir bisher ein typisches Symbol der Fastenzeit, die Dornenkrone Jesu. Seit Aschermittwoch steht vor unserem Altar in der Hauskapelle von St. Charles ein Holzkreuz mit einer Dornenkrone, geflochten aus Dornenzweigen, die einen großen Baum in unserem Garten umranken. Die Evangelien berichten, dass die Soldaten Jesus, dem "König der Juden", vor der Kreuzigung zum Spott eine Krone bzw. einen Kranz aus Dornen aufsetzten. Im schmerzhaften Rosenkranz beten wir das Gesätz "der mit Dornen gekrönt worden ist".
Im katholischen Heiligenkalender gibt es sogar eine Heilige, die den schönen Namen "Corona" trägt. Sie war eine junge Frau im Gebiet des östlichen Mittelmeerraums in der Zeit der Frühen Kirche. Trotz Verfolgung und Anklage blieb sie ihrem Glauben an Christus treu und wurde dafür auf grausame Art gefoltert. Sie wurde an die nach unten gebogenen Kronen zweier Palmen angebunden und nach oben geschleudert. Ihre Heiligenlegende zeigt einmal mehr, dass die Menschen seit jeher die phantasievollsten Erfinder grausamer Todesarten sind, um ihre Konkurrenten und Feinde auszuschalten.

In diesen Tagen hat das schöne lateinische Wort "corona" für uns alle eine ganz neue Bedeutung erhalten, die alle anderen - selbst die Sonnencorona - in den Schatten stellt. Das Corona-Virus ist zwar unter dem Elektronenmikroskop durch seinen zackigen Strahlenkranz wie bei einer Krone eine wahre Schönheit, entpuppt sich jedoch als die momentan größte Lebens-Bedrohung unserer Menschheit.  Viel zu viele Menschen haben sich schon damit infiziert und sind daran gestorben. Viele setzen tagtäglich ihr Leben aufs Spiel für die medizinische Betreuung Erkrankter und Gefährdeter. Und rund um den Globus müssen in diesen Tagen viele sicherheitshalber in ihren Wohnungen bleiben, verlieren ihre Arbeit oder haben schlichtweg Angst. Das Corona-Virus dominiert unseren Alltag, unsere Nachrichten, unsere Gespräche, unser zwischenmenschliches Verhalten.

Wie die meisten ist auch unsere Schwesterngemeinschaft in St. Charles von diesen Ereignissen überrascht worden. Unser Gästehaus ist leer und auch unser Kindergarten ist wie alle Schulen des Landes vorerst geschlossen. Wir Schwestern sind alle wohlauf. Und wir sind zuversichtlich im Glauben an den Mensch gewordenen, gekreuzigten und auferstandenen Christus, gerade in diesen Tagen der Fastenzeit. Wir vertrauen darauf, dass mit Gottes Hilfe bald ein Gegenmittel und ein Impfstoff entwickelt werden, um diese Pandemie wirksam bekämpfen und den Menschen, den Kleinen wie den Großen, wieder Hoffnung und Freude schenken zu können. Das zeigt uns der Blick aufs Kreuz, auf die Dornenkrone, aber auch ein Spaziergang durch unseren Garten -  zu dem wir Sie mit unseren Fotos einladen möchten. Jesus Christus hat uns vorgelebt: die Hoffnung stirbt zuletzt.

Wir wünschen Ihnen allen
gute Gesundheit, Geduld und Zuversicht.
Bleiben wir im Gebet miteinander erbunden
bis zum nächsten Wiedersehen in Jerusalem.


Deutsches Hospiz St. Charles Jerusalem - Lloyd George Street 12, 91080 Jerusalem, Israel - Tel: 00972 2 5637737 - Mail: info@deutsches-hospiz.de